In der Metaphysik
lesen (BUCH VII (Z), 1032a 16
– 26
Bereits am 6.
Dezember 2017 haben wir angefangen, den Abschnitt 7 zu lesen, in dem eine neue
Einteilung vorgetragen wird: Natur, Kunst(fertigkeit), von selber (1032a 11).
Diese drei Begriffe bezeichnen Realitätsbereiche – jedenfalls die beiden ersten
können ziemlich leicht mit heute üblichen Begriffen identifiziert werden: etwa
Natur und Kultur. Es handelt sich um Realitätsbereiche, die sich in der
Gliederung der Wissenschaften, auch der Museen, vielleicht der Ministerien
spiegeln. Und es gibt auch Untergliederungen: so hat sich die Kunst im
griechischen Sinn in der Moderne gespalten in Kunst und Technik und, wenn wir
uns die Frage stellen, in welche aristotelische Sparte etwa die Philosophie
gehört – was würden wir da antworten?
Die beiden
aristotelischen Realitätsbereiche Natur und Kunst werden auf der Ebene des
Entstehens angesiedelt und folglich stellt sich die Frage, wo der Begriff des
Entstehens seinen Platz hat. Er gehört zu den ontologischen Begriffen, denen
die Seinsmodalitäten entsprechen. Die wichtigsten Seinsmodalitäten waren bisher
Wesen oder Substanz und die Akzidenzien - allesamt in den zehn Kategorien
zusammengefasst. Es sind aber bereits einige zusätzliche dazugekommen und
sie werden im Abschnitt 2 von Buch IV genannt (die dortigen Abschnitte 1 und 2
enthalten nämlich die formelle Gründung der Ontologie, was zu bemerken wichtig
ist, damit die Textmasse des Buches namens Metaphysik eine Gliederung
bekommt). Die dort genannten zusätzlichen Seinsmodalitäten heißen etwa „Weg zum
Wesen“, Vergehen, Privation (der ein Abschnitt in Buch V gewidmet ist),
Bewirkendes oder Erzeugendes – und sogar das Nicht-seiende wird noch
dazugenommen (1003b 6ff.) Und etwas später, in den Abschnitten 4 und 5, wird
auch die Möglichkeit genannt (1007b 29, 1009a 35). Aus dieser Zusammenstellung
lässt sich ohneweiteres erschließen, dass das Entstehen oder Werden ebenfalls
eine Seinsmodalität ist und zwar eine entscheidende, nämlich: anfangen zu sein.
Die merkwürdige Formulierung „Weg zum Wesen“ ist vielleicht sogar direkte eine
Umschreibung dafür.
Die Nennung der
Seinsmodalitäten hat also etwas Offenes aber die Ebene als solche ist bestimmt
und die aristotelische Ontologie ist dadurch gekennzeichnet, dass der Primat
des Wesens oder der Substanz aufrechterhalten wird. Dieser Primat bedeutet,
dass dem Wesen „mehr“ Sein zugesprochen wird, als den Akzidenzien, dem Werden
oder dem Möglichen, und dass dem Wesen Selbständigkeit, den anderen Modalitäten
Abhängigkeit zugesprochen wird. Diese meine Redeweise entspricht genau dem, was
Aristoteles sagt, verwendet aber politischere Wörter.
Aristoteles hebt
sich damit von Parmenides ab, der nur einem vollkommen Seienden Sein
zugesprochen hat, wie auch von Heraklit, der das Sein ins Werden aufgelöst hat.
Die Ebene der
Seinsmodalitäten hebt sich ab von den drei oder vier Realitätsbereichen, die
nun im Abschnitt 7 eingeführt werden: Natur, Kunst, „von selber“ und Zufall
(1032b 26ff.)
Bisher war in der Metaphysik
nur der Begriff „Natur“ vorgekommen (so in Abschnitt 4 von Buch V) – und
zwar in zwei Bedeutungen. Als Synonym für Wesen ist er ein ontologischer
Begriff, als Bezeichnung für das pflanzenhafte und animalische Wachsen steht er
für den Realitätsbereich, den wir auch heute noch so nennen und der für
Aristoteles paradigmatische Bedeutung hat, wenngleich das Artefakt „Schiff“ für
die seefahrenden Griechen ebenfalls allergrößte Bedeutung gehabt haben muß, wie
sich daraus erschließen lässt, dass in der Metaphysik das Artefakt
„Haus“ eine große Rolle spielt und zwar als ein Fall von „Wesen“. Lucie
Strecker hat übrigens am 6. Dezember mit den beiden Ausdrücken „Biofakt“ und
„Artefakt“ eine neuere Terminologie für Natur und Kunst eingebracht. Das
Element „arte“ in „Artefakt“ enspricht genau dem griechischen techne.
Und der Rückgriff
auf Helmuth Plessner am 13. Dezember hat gezeigt, dass seine Bestimmung des
„Lebewesens“ durch die drei Aspekte der Dinghaftigkeit, des ständigen Werdens
und der ständigen Potenzialität verschiedene Seinsmodalitäten zur Koinzidenz
bringt. Möglicherweise gilt Ähnliches für die Bestimmung des „Lebens“ bei
François Jullien. Die Ebenen der Seinsmodalitäten und der Realitätsbereiche
schließen sich nicht aus sondern ein.
Walter Seitter
Sitzung vom 10.
Jänner 2018
Ein älteres Buch
zur Aristoteles-Interpretation:
Heinz Happ: Hyle.
Studien zum aristotelischen Materie-Begriff Berlin – New York 1971)
Und ein neues zur
sachlichen Vergleichung:
Robert Hugo Ziegler: Elemente
einer Metaphysik der Immanenz (Bielefeld 2017)
Nächste Sitzung am 17.
Jänner 2018
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