τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

* * *

Montag, 18. Dezember 2017

Weihnachtsbrief

PK und IK

Politische Korrektheit (PK) und Inkorrektheit (IK) bilden ein Duo. das zusammengehört und daher müssen die beiden  zusammen besprochen, beurteilt, kritisiert werden. Andernfalls arbeitet man dem jeweiligen Gegenpol zu und verstärkt die gegenseitige Aufschaukelung der beiden, das heißt man verstärkt sowohl den einen Pol wie den anderen - den einen bewusst und freiwillig, den anderen weniger freiwillig.

Ein Merkmal von PK ist die einseitige Betonung der Gleichheit zwischen den Menschen. Es gibt zum einen mannigfache Ungleichheiten - sie sind unterschiedlicher Art und unterschiedlich zu beurteilen. Es gibt aber auch Gleichheiten - etwa die Wesensgleichheit, durch deren Anerkennung sich der Universalismus auszeichnet (egal ob dieser religiös oder philosophisch begründet wird). 

Alle Unterschiede abschaffen wollen, ist ein Irrweg von PK, der sich gern moralisch rechtfertigt. Alexis Dirakis schreibt in seinem Aufsatz in Tumult Zeitschrift für Konsensstörung (Sommer 2017), der politischen Korrektheit gehe es mehr um die moralische Ordnung als um den Zustand der Welt. Ich würde sagen, sie kümmert sich kognitiv zu wenig um den Zustand der Welt - und das ist eine Art Realitätsverweigerung auf einer bestimmten Ebene. Nicht nur der Zustand der Welt wird missachtet sondern auch gewisse pragmatische Eigentümlichkeiten der Politik, die man das Politische nennt.

Und jetzt komme ich auf das zurück, was ich vor einem Jahr kurz angedeutet habe - dass es nämlich drei normative Qualitäten gibt, die voneinander zu unterscheiden sind. Das Wahre, das Schöne, das Gute (wenn man will, kann man sie platonisch "Ideen" nennen). PK interessiert sich nur für das Gute, wenig für das Wahre, d. h. die Aufmerksamkeit für Tatsachen, Sachverhalte, Strukturen. Leider folgt daraus, dass auch das Engagement für das Gute auf diesem Weg entgleist - in Rechthaberei, Zensur und Schlimmeres ausartet. IK setzt sich leichten Herzens über das Gute hinweg und über das Wahre.

Man kann den Kommunismus als die vor genau 100 Jahren erfundene Extremvariante von PK ansehen. Ebenfalls vor genau 100 Jahren wurden die Extremvarianten von IK erfunden: die Faschismen. Die von der Faszination durch das Schöne zehren. Das Jahr 2017 ist in diesem Sinn ein Jubeljahr, das wir nicht ungedacht vorübergehen lassen sollten.

Sich nur für das Wahre interessieren - das war jahrhundertelang die Spezialität von spitzfindigen Theologen, in neuerer Zeit könnte man da die Szientisten nennen. Aber als Reaktion gegen PK und IK ist das Insistieren auf Respekt vor Wahrheiten sehr sinnvoll, auch vor banalen Wahrheiten, also vor Tatsachen, worauf Timothy Snyder hinweist. 

Walter Seitter  


  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen