τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

* * *

Freitag, 8. Dezember 2017

Weiße Strahlung

Alptraum der Welt, weiß wie die Wand
durch die ich mit meinem Panzer breche.
Im aufwirbelden Staub weist mir Blut
den Weg ins nächste Haus, wo mein Lachen
die Angst durch das Rohrwerk treibt.

Am Bug des Schiffes, das auf allen Meeren
den bleichen Schrecken jenen bereitet,
die dunkler in der Sonne stehen, hänge ich
mit einem Speer in der Hand, Galionsfigur
eines Entsetzens, von dem sie nicht einmal
in ihren schlimmsten Nächten träumen.

Ich habe die Köpfe der Sklaven zwischen
meinen Daumennägeln zerquetscht. Läuse
sind mir zu klein. Menschen liegen besser
in der Hand, die zur Faust geballt, euch alle
lehrt, was die Macht eines weißen Mannes
in eurem Herzen und an eurem Leib vermag.

Sie hielten mich auf den fernen Inseln und
großen Kontinenten für einen Gott. Bei Gott,
ich habe sie nie enttäuscht! So schnell
konnten sie gar nicht auf die Knie fallen,
dass ich ihnen nicht schon zuvor den Kopf
abgeschlagen hatte – das Schwert, sie haben
mir das Schwert in die Hand gedrückt
und mich angebetet. Ich war ihre Schuld.   

Ihre bunten Sünden musst’ ich in der Weißglut
meines Zorns zu einer Erbschuld schmieden.
So konnten sie mich stärker fürchten, inbrünstig
beten. Meine Worte ein pyroklastischer Strom
über ihren Dörfern und stinkenden Städten.

Wo bin ich nur so weiß geworden? Juden
und Griechen waren leidlich braun. Muss
später geschehen sein. Womöglich in Rom,
als sie mich in die Cloaca Maxima warfen,
die Bibliothek des Allzumenschlichen. Dort
hab’ ich mich erkannt, weiß vom Kalk, der
mich vor der Verwesung bewahren sollte.
                                                Auferstanden
aus Germaniens Feldern, aufgefahren in die
grausame Bergwelt, wo in kalten, waldigen
Tälern mein Hass auf alles Schwache heran-
wuchs. Dort oben in der klaren Luft kühlte
mein Herz so weit ab, dass ich am Eisklotz
Bronzeschwerter scharfschleifen und damit
die ganze Welt niederschlagen konnte. Blitz
und Donner gaben mir Geleit. Später knallte
das Dynamit des Nobelpreisträgers.

Ihr lacht über mich, wenn ich am Schirm
erscheine. Ein alter Weißclown, unfähig,
den Alltag des Lebens zu meistern. Ihr
macht mich zum Narren, um eure Ängste
im Lachen zu ersticken.

Als ob man mich weglachen könnte. Wie
ein Wurm bin ich durch Dreck gekrochen
und in einer Gottverlassenheit gesessen,
die jedes andere Wesen getötet hätte.

Wenn die Welt zu Nebel wird, müssen wir
Weißen kommen. Nur wir ertragen das Bild
unserer eigenen Bösartigkeit im Spiegel
unserer Seele – ein Raum soweit, dass dir die
Augenlider abfallen, wenn du in ihn schaust.

Und doch habe ich die Welt besser gemacht,
ich, der mächtige, abscheuliche, weiße Mann:
die Sklaverei verboten, den Krieg zu einem
Verbrechen erklärt. Als seinem Vater stand
mir das auch zu. Eure Automobile habt ihr
aus meiner Garage, die Kühlschränke aus
meiner Fabrik. Zu schweigen von dem Zeug,
das ihr täglich in euch hineinstopft.

Weißes Licht, weißes Nichts, weiße Nacht.
Wenn ich komme, seht ihr, wo die Flamme,
die wärmende, nährende, leuchtende, am
hellsten brennt: um den schwarzen Docht.
Sogar zu dieser Erkenntnis verhilft mein
weißer Kopf auf der Stange über dem Tor.


Dr. Christian Zillner

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