Die beiden im letzten
Protokoll formulierten Eigentümlichkeiten des Dichtwerks (nach Aristoteles) –
nämlich die logische und die physische, lassen sich zu einer einzigen
zusammensetzen: ein Dichtwerk ist eine unwahrscheinliche Wirkungseinheit (mit
einem hohen Grad von Negentropie).
Das gesuchte erste Axiom
lautet: Es ist unmöglich, daß dasselbe demselben in derselben Beziehung zukommt
und nicht zukommt (1005b 19). Dieser „Satz vom Widerspruch“, genauer wohl „Satz
vom ausgeschlossenen Widerspruch“ kann als Grundprinzip der klassischen Logik
etwa so erläutert werden: wer etwas sagt, muß mit seinen Worten etwas
bezeichnen wollen. Wer etwas bezeichnen will, bezeichnet etwas Bestimmtes. Wenn
etwas Bestimmtes bezeichnet wird, dann heißt das, daß die gebrauchten Worte
nicht ebensogut etwas anderes bezeichnen können .... Gleichzeitig gilt der Satz
auch als ontologisches Prinzip – in dem umgangssprachlichen Sinn, daß er für
alle Aussagen über Wirklichkeit gilt. Etwa: Seiendes ist seiend und nicht nicht
seiend. Wenn etwas ist, ist es und nicht etwa nicht. Wenn etwas so ist, wie es
ist, dann ist es so, wie es ist und nicht anders.
Beide „Richtungen“ des
Satzes widersprechen einander überhaupt nicht, vielmehr implizieren sie
einander.
An der Stelle, wo
Aristoteles ihn hier einführt, läßt er sich jedoch auch noch „spezifisch
aristotelisch“ einordnen. Ob er selber „nur“ logisch oder doch auch
„ontologisch“ zu verstehen ist: in Metaphysik IV wird er als eine
weitere – und überraschende – Seinsmodalität des Seienden als solchen eingeführt.
Überraschend weil ein „bloßer Satz“ eine Seinsmodalität sein soll. Nicht
überraschend weil er in seinem ontologischen Gehalt – wie eben erläutert – ganz
auf Identität insistiert: was ja dem Hauptduktus der aristotelischen Ontologie
voll entspricht. Ein bißchen doch wieder überraschend, weil er sich mit dieser
Identitäts-Insistenz dem Differenz-Duktus der aristotelischen Ontologie zu
verweigern scheint. Die aristotelische Ontologie setzt identitär ein und
entfaltet sich dann sehr differenzial – bis hin zur glatten Negation. Aber
diese Differenzial-Entfaltung inkludiert das Nicht-Seiende weniger mit Aussagen
als vielmehr mit Thematisierungen.
Soviel zum „Satz an sich“,
bei dem sich Aristoteles gar nicht lange aufhält. Er geht gleich auf eine
andere Ebene über, eigentlich hat er diese dem Satz schon vorgeschaltet: die
Ebene menschlicher Verhaltensweisen gegenüber diesem Satz, insbesondere
„negativer“ Verhaltensweisen (die aber von vornherein nur „negativ“ eingeführt
werden). Da wird der prominente Negator Heraklit genannt – aber er und der Satz
werden gleich mit drei verschiedenen Menschenverhalten umkleidet: einige
„meinen“, daß Heraklit „sagt“ – was er er oder sonst einer (wenn er das sagt)
gar nicht notwendigerweise auch „annimmt“. Also ein Eiertanz um den den
aristotelischen Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch leugnenden Heraklit
herum. Meinen, sagen, annehmen – diese drei „erkenntnispolitischen“ Verhalten
werden unterschieden und zusammengefügt, um die heikle Erkenntnissituation des
Satzes zu erläutern. In einem Nachsatz wird die Annahme der Leugnung des Satzes
durch den Leugner sogar als unmöglich bezeichnet – denn der Leugner würde
entgegengesetzte Meinungen haben. Wir können sagen, daß Aristoteles mit diesen
anthropographischen, erkenntnispolitischen Argumenten den Satz „beweisen“ will
– obwohl er „an sich“ nicht bewiesen werden kann. Quasi-Beweis mit „argumentum
ad hominem“.
Anschließend vermehrt
Aristoteles die Zahl derer, welche die Satz-Leugnung vertreten – Aristoteles:
sie gebrauchen diese Rede. Es sind „viele auch von denen über die Natur“ (1006a
2).
Diejenigen, die hier einen
Beweis fordern, ein wiederum anderes erkenntnispolitisches Verhalten, tun das
aufgrund von „Unbildung“ – auch das eine erkenntnispolitische Qualifizierung
(wobei die Urheber der Unbildung nicht PISA-mäßig erfaßt sind). Aristoteles
behauptet, daß nicht alle Sätze bewiesen werden können – und daß sich unter
diesen auch höchste Prinzipien-Sätze befinden, ohne welche gar kein Beweis
möglich wäre.
Am 3. Februar habe ich von
Kurt Flasch die Aussage über Nikolaus von Kues zitiert, derzufolge dieser die
aristotelische Kategorienordnung (Priorität der Substanz) in Frage gestellt
habe. Wie wir wissen, kommt sowas auch bei Aristoteles vor und in gewissem Sinn
geht auch die Serie der Seinsmodalitäten etwas in diese Richtung. Aber bei Kues
sollen auch schlimmere Sachen vorkommen: Leugnung des Satzes vom
ausgeschlossenen Widerspruch durch die theologische Bestimmung Gottes als
„coincidentia oppositorum“: er ist der höchste und der geringste usw..[1] Kues macht solche Aussagen
jedenfalls zunächst von dem Gott, der damals bereits tausenderlei Bestimmungen
biblischer, theologischer, philosophischer Herkunft bekommen hatte. Aristoteles
würde einen solchen Gott eher von sich weisen und sähe daher keinen Anlaß, sich
von ihm diesen Satz, welcher „von Natur aus der Ursprung der anderen Axiome“
ist (1005b 34), in Frage stellen zu lassen.
Walter Seitter
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Sitzung vom 19. März 2014
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