Die Definition der gesuchten
Wissenschaft als Ontologie im Buch IV geht bei Aristoteles mit einer gewissen
„Verschärfung“ Hand in Hand – so jedenfalls im Umgang mit „anderen“
Philosophen. Ausgerechnet in diesem Buch findet sich auch die ziemlich
sensualistische Aussage, daß jede Wissenschaft in einer Gattung von sinnlich
wahrnehmbaren Elementen ihre Basis habe: für die Grammatik seien das die Laute
(1003b 21). Gilt das auch für die Ontologie? Wo könnte diese ihre sinnlichen
Elemente haben?
Anstatt diese Frage in dieser
extremen – und wohl eher aussichtslosen Weise – zu stellen, machen wir einen
Kompromiß zwischen Ontologie und „Grammatik“, denken uns eine „Ontologie der
Sprache“, also eine Wissenschaft, die von Elementen der Sprache ausgeht, welche
sie „ontologisch“ faßt: also als Seiende als solche – analog zum
aristotelischen Seienden, das ja „absolut“, also losgelöst, thematisiert wird.
In der Archäologie des
Wissens (Frankfurt 1973) erprobt Michel Foucault eine Sprachphilosophie,
der man „ontologischen“ Charakter zusprechen kann. Er geht nicht von den Lauten
aus, jedenfalls nicht von den Einzellauten, die ja noch keine Bedeutung haben.
Auch nicht von den kleinsten Einheiten, die schon Bedeutung haben, also den
Wörtern. Sondern von der kleinsten Einheit mit der vollen Bedeutung von
Sprechen, Mitteilen, Aussage. Aristoteles nennt das in der Poetik „logos“
– womit allerdings auch größere Ensembles gemeint sein können, wie etwa ganze
Dichtwerke.
Foucault nennt dieses Niveau
„Aussage“, wenn er die kleinste Einheit betrachtet, oder „Diskurs“, wenn er
größere Ensembles im Auge hat. Allerdings geht es ihm darum, innerhalb der
sprachlichen oder sonstwie kundtuenden Tätigkeiten bzw. Tatsachen die
elementarste Ebene herauszuarbeiten, was er mit großer Umständlichkeit und mit
unaufhörlichen Abgrenzungen auch tut. Diese Ebene ist die minimalste: nämlich
das bloße „es gibt“ von sprachlichen oder ähnlichen Akten, die Instanz ihres
Erscheinens im ständigen Widerspiel mit dem noch nicht und dem nicht mehr ihres
Erscheinens: also Auftauchen, Existenz, Verschwinden (161ff., 243, 249).
Entspricht dieses Niveau dem, was Aristoteles mit der Betrachung des Seienden
als Seienden meint? Wohl nicht in dem Sinn, daß diese Betrachtung ständig auf
das „Wesen“ bezogen bleibt. Wohl aber in dem Sinn, daß alle Seinsmodalitäten,
auch die negativen und die konträren einbezogen werden. Mit dem Widerspiel von
Sein und Nicht-Sein (der Sprache) habe ich jedoch nur einen Punkt, vielleicht
den zentralen, des Eigentümlichen der Aussage genannt. Foucault spinnt darum
herum ein ganzes Netz aus Korrelierungen, die insgesamt dann doch so etwas wie
das Wesen zusammensetzen: aber eines, das nicht von vornherein gegeben ist und
alles bestimmt, sondern eines, das mühsam und ständig gefährdet und ständig
transformierbar zu eruieren ist.
Damit klingt schon an, daß es
mit der Erkennbarkeit dieser Aussage nicht sehr gut steht. Keine Spur von
sicherer Wahrnehmbarkeit, wie sie etwa den Lauten, den Sätzen, den Texten
eignet. Da es um deren bloßes „es gibt“ geht, um das pure und minimale
Aufscheinen, schwankt sie zwischen Verborgenheit und Sichtbarkeit. Da sie
andererseits ständig und selbstverständlich irgendwie da ist, wird sie umso
leichter übersehen (analog zu den doch massiven Tatsachen des Lichtes, der
Luft).
„Man bedarf einer bestimmten
Wendung des Blicks und der Haltung, um sie erkennen und an ihr selber ins Auge
zu fassen können.“ (161).
Die epistemologische
Voraussetzung der Ontologie wird von Foucault genau mit derselben „Wendung“
formuliert, wie Aristoteles das tut: nur daß dieser die Wendung
generisch-allgemein formuliert: „Wendung des Vermögens“ (zur Abgrenzung des
Philosophen von den „Dialektikern“ – das sind die diejenigen, die die Methode
des Diskutierens verabsolutieren). Mit Diskutieren, Rechthaben, Wortspielen
allein kann man die ontologische „Einstellung“ nicht erlangen (auch wenn man
sich verbal ganz darauf festlegt, was die Dialektiker offensichtlich tun). Es
gilt aber auch etwas Gegenteiliges bei Aristoteles: er tut nicht so, als wäre
diese „Ontologie“ die einzig wahre Einstellung. Erstens bildet sie nur eine
Linie innerhalb der gesuchten Wissenschaft. Und zweitens gibt es auch noch
viele andere Wissenschaften – zum Beispiel von der Sprache die Grammatik.
In seinen späten Jahren hat
Foucault noch eine ganz andere Spielart von „Ontologie der Sprache“ entworfen,
die noch stärker das Tun, das Ereignis des Sprechens vor dem Hintergrund des
Nicht-Sprechens abzeichnet. Das Sprechen in riskanten Situationen, wo das
Nicht-Sprechen „leichter“, jedenfalls bequemer, ja sogar weniger gefährlich
wäre. Wo die bekannte ontologische Grundfrage so umformuliert werden muß: Warum
soll ich hier und jetzt etwas sagen und nicht vielmehr, nicht viel lieber –
nichts? Siehe dazu Michel Foucault: Diskurs und Wahrheit. Die
Problematisierung der Parrhesia (Berlin 1996).
Bei Foucault jedenfalls,
vielleicht aber auch bei Aristoteles, ist die „Ontologie“ eine
Krisen-Angelegenheit.
Walter Seitter
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Sitzung vom 26. Februar 2014