τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 13. Dezember 2013

In der Metaphysik lesen (1002b 30 – 1003a 17)

In der letzten Stunde haben wir die Analogisierung zwischen „Wesen“ und „Phallus“ so weit getrieben, daß wir gefragt haben, ob auch das Wesen von so etwas wie „Kastration“ geschlagen ist, und haben die Frage philosophiehistorisch so beantwortet, daß die seinerzeit schon von den Sophisten betriebene Infragestellung des Wesens – und seine Verdrängung durch Akzidenzien – seit der Neuzeit erfolgreich vorangetrieben worden ist – so sehr, daß heute „Essenzialismus“ eigentlich nur noch ein Schimpfwort ist. Auf der anderen Seite haben wir festgestellt, daß die sexuelle Fortpflanzung (mit der ja der Phallus auch irgendwie zu tun hat) ohne Selbigkeit der Wesensform (bei Mann, Frau, Kind ....) nicht zu denken ist (wiewohl die Gentechnologie heute auch da Manipulationsmöglichkeiten in Aussicht stellt).

Das Konzept der Wesensform scheint also nicht einfach aufgegeben werden zu können. Dennoch hat die Tendenz zur „Wesensauflösung“ auch etwas, was heute nicht wegzudenken ist – etwa in den Bereichen des Kulturellen oder Politischen. Kulturen, in denen das „Wesen des Guten“ ein für allemal festgelegt ist, flößen uns Bedenken ein. Wo man sich vom „Wesen des Guten“ oder vom „Wesen des Menschen“ konkrete Vorstellungen macht und diese für überzeitlich und überörtlich gültig hält (indem man etwa für das Wesen des Menschen den „guten Wilden“ oder den WASP einsetzt), ist die Gefahr sehr groß, eigentlich unausweichlich, daß man das „Wesen“ mit partikularen Bestimmungen auffüllt und verwechselt, die gar nicht „wesentlich“ sind. Ein derartiger vermeintlicher „Essenzialismus“ entspräche dem, was heute auch „Fundamentalismus“ genannt wird. Insofern wäre die Tendenz zur Wesensauflösung eine Chance zur Reinigung des Wesensverständnisses, zu seiner – gewissermaßen platonischen – Rückführung aufs Allgemein-Wesentliche, das überhaupt nur sprachlich gefaßt werden kann – und eben nicht konkret-anschaulich vorgestellt.

In unserer Lektüre der Poetik haben wir festgestellt, daß Aristoteles selber – bei der Gegenstandsbestimmung für die tragödische Mimesis – das Wesen „Mensch“ glatt ersetzt durch die praxis, die ihrerseits eine Verkettung von pragmata ist. Also das Wesen (lateinisch die Substanz) durch Akzidenzien – wofür ich den Ausdruck „Akzidenzialismus“ geprägt habe.[1]

In unserer Textpassage zeigt Aristoteles mit einem Satz, daß er die Wesensauflösung aus einer abstrakten ontologischen Hypothese aus phantastisch- und drastisch-zoologisch schlußfolgern kann: „Wenn das allgemeine Prädikat ein individuelles Ding wäre, dann würde Sokrates viele (Lebe)Wesen sein: er wäre er und der Mensch und das Lebewesen (Tier).“ (1003a 12). Also ein multiples Monster. Im Wenn-Satz aber streift er die oben erwähnte Identifizierung von Allgemeinem und Einzelnem, mit der die Verkennung des Allgemeinen einsetzt.

Nächste Sitzung am Mittwoch, dem 8. Jänner 2014


Walter Seitter

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Sitzung vom 11. Dez. 2013


[1] Siehe Walter Seitter: Poetik lesen (Berlin 2010): 100ff. Für die Ontologie des Politischen habe ich das Problematische des „Willens zum Wesen“ sowie den Vorrang der Akzidenzien schon 1981 ins Auge gefaßt – siehe Walter Seitter: Menschenfassungen. Studien zur Erkenntnispolitikwissenschaft. Mit einem Vorwort des Autors zur Neuausgabe 2012 und einem Essay von Friedrich Balke: Tychonta, Zustöße. Walter Seitters surrealistische Entgründung der Politik und ihrer Wissenschaft (Weilerswist 2012): 169ff., 281ff.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

In der Metaphysik lesen (1002b 12 – 29)


In der letzten Stunde haben wir unterschieden zwischen „Wesen“ im Sinn von Wesensform, Wesenheit und „Wesen“ im Sinn von Lebewesen, aktiver und beinahe personaler Einheit. Im Sprachgebrauch unterscheidet man: Wesen haben, Wesen sein. Im Protokoll wird die Analogie zu Jacques Lacans ähnlich klingendem Sprachgebrauch hergestellt: Phallus haben, Phallus sein. Den Phallus zu haben ist in erster Linie Sache des Mannes, während es der gewöhnlichen Ansicht nach der Frau zukommt, den Phallus nicht zu haben. Das sexualtheoretisch kompetente Kind weiß, daß es die Liebe der Mutter erlangen kann, wenn es selber „Phallus sein“ könnte, was es daher zu glauben geneigt ist. Allerdings meint Lacan mit „Phallus“ nicht nur das positive männliche Geschlechtsorgan, sondern auch dessen Fehlen, das bei der Frau angeblich durch Kastration zustande gekommen ist – die jedoch auch dem Mann nicht erspart bleibt: Phallus heißt auch die vom Gesetz des Vaters verfügte „Kastration“ und diese trifft alle positiven Phallus-Verhältnisse – auch das imaginäre Phalllus-Sein, welches die Frau aus der Kindheit beibehält. Dennoch „schneidet“ die Frau in diesem Hin und Her aus Phallus-Haben und -Nichthaben und Phallus-Sein und -NichtSein letztlich „besser“ ab – mit ihrem „Mehrgenießen“ bleibt ihr „Mehr-Phallus“. Und Lacan wird mit all seinem Phallo- und Kastrationszentrismus zu einem insgeheimen aber aber radikalen Feministen.

Steht auch das aristotelische Wesen – ein doppeltes Wesen – unter dem Gesetz einer analogen „Kastration“ – also Bestreitung, Aufhebung, Vernichtung? Die Philosophiegeschichte scheint in diese Richtung zu gehen: Nominalismus und Positivismus, Nietzsches Aggressionen und Wittgensteins vorsichtiger Pragmatismus (wonach die Bedeutungen der Wörter nur auf ihrem Gebrauch beruhen): sie alle bestreiten die Möglichkeit von Wesensbehauptungen.

Dennoch sei die Frage aufgeworfen, ob sich für die Analogisierung zwischen Wesen und Phallus auch inhaltliche Gründe nennen lassen: haben die beiden Begriffe auch sachlich etwas gemein?  Herkömmlicherweise gilt der Phallus als Eigentümlichkeit und insofern Wesenskern des Mannes. Nach Lacan ist er die Eigentümlichkeit von Mann und Frau – also des Menschen. Und diese Rolle teilt ihm sogar die Biologie zu, sofern man ihn mit den Keimzellen assoziiert, die sich – wie wir heute wissen – auch bei der Frau finden. In jeder Keimzelle liegt die Wesensform des Menschen (und die Keimzellen funktionieren nur, indem sie ausgeschieden also weggenommen werden). Die Fortpflanzung ist ein massives Phänomen, das den Wesensbegriff stützt. Aristoteles war ja nicht umsonst hauptberuflich Zoologe.

Der gelesenen Passage entnehmen wir nur die Auskunft, daß sich die drei Ebenen der sinnlichen Dinge, der mathematischen Objekte und der Formursachen quantitativ so unterscheiden, daß auf der ersten Ebene sehr viele Einheiten, auf der zweiten Ebene viel weniger und auf der dritten Ebene noch weniger Einheiten gezählt werden.

Walter Seitter


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Sitzung vom 4.12.2013

Dienstag, 3. Dezember 2013

In der Metaphysik lesen (1002a 15-29)

Auch dieser Abschnitt widmet sich der Fragestellung, die sich
grundlegend in der Ontologie/Erste Philosophie/od. Metaphysik
des Aristoteles stellt. In anderen Worten geht es auch bei diesem
Befragen um die Prüfung dessen: Was dies sei, das ein Ding zu dem
macht, das dieses Ding als dieses selbst (kathauto) ist und nicht
etwas anderes, einen Menschen z.B. als Mensch-seienden oder eine
Statue als Statue.

So wie beim Vorgehen Aristoteles die Auseinandersetzung innerhalb der
griechischen Sprache stattfindet (1026a 33f, „da also das Seiende,
schlechthin ausgesprochen, in verschiedenen Bedeutungen gebraucht
wird...“ / hier: 1026b 2-3), setzen auch wir uns an dieser Stelle mit
den verschiedenen möglichen Ausdrücken (aristotelischer Begriffe) in
der deutschen Sprache auseinander, z.B. die Bedeutung des Infinitums:
dieses zielt auf einen Prozess/Vollzug hin, bezieht sich auf etwas,
das diese Tätigkeit vollzieht; oder die Differenzierung zwischen der
Linie (eines A4 Blattpapiers) und des Strichs einer/s
Zeichnerin/Zeichners (auf dem Zeichenpapier).

Anders als in der Abhandlung „Peri ta Physika“, worin stigmé nicht
Teil einer Strecke, sondern (wie der Augenblick in der Zeit) Beginn,
Ende oder Grenze ist, welche zum einen zwei Strecken verbindet und zum
anderen gleichzeitig die Gegenwart der sich vollziehenden Bewegung
darstellt (vgl. Wörterbuch der antiken Philosophie, Hg. Chr. Horn,
Chr. Rapp), handelt es sich hier – auf die stigmé bezogen – um die
Frage nach dem Seienden als die Frage nach der ousia, das Seiende, das
in Bezug auf etwas ausgesagt wird.

Die Aporie, welche in diesem Kontext durchgearbeitet wird, mündet also
in der Frage:
Gibt es Linien und Punkte an dem sinnlich wahrnehmbaren Körper? Oder:
Was hat mehr Wesen? Ein konkreter Körper oder der Punkt [stigmé], die
Linie [grammé], die Fläche [epifaneia]?

[ti to on kai tis he ousia tôn ontôn] 1002a 27-28
„was unter den Dingen ist das Seiende und was das Wesen“? oder anders
ausgesprochen:
Welche ist die Differenz zwischen den Ausdrücken:
„Etwas hat ein Wesen“ und „Etwas ist ein Wesen.“
Die Linie, der Punkt, die Einheit sind Wesensformen und haben insofern
Wesen, wodurch sie das Seiend-sein der Körper bestimmen.
Der Stein ist potentiell (dynamei) eine Hermesstatue und die Figur
Hermes, ein konkret Wahrgenommenes. Die (noch) nicht realisierbare
Figur hat immer einen Ort (dynamei in der Seele). Es handelt sich hier
nicht um die Beschreibung eines Prozesses, sondern um die Bestimmung
dessen, was die Voraussetzung einer jeden Bewegung/Veränderung
ausmacht.

Die analogische Hinführung zur Formulierung „Die Frau hat den Phallus“ (vgl. Lacan, Se. IV), während das Kind (glaubt) der Phallus (für die Mutter) „zu sein“, und die Beziehung dieses Ausdrucks zum Gesetz des Vaters, wäre an diesem Punkt vielleicht nicht ohne Bedeutung: Denn „das väterliche Wort, das das symbolische Gesetz verkörpert, nimmt (daher) eine doppelte Kastration vor: Es kastriert den mütterlichen Anderen hinsichtlich des Phallus-Habens und das Kind hinsichtlich des Phallus-Seins.“ (J.-D. Nasio, 7 Hauptbegriffe der Psychoanalyse).

Sophia Panteliadou
 
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Sitzung vom 27.11.2013 

Donnerstag, 21. November 2013

In der Metaphysik lesen (1001b 1 – 1002a 14)


Vor einigen Wochen haben wir uns die Frage gestellt, wieso Aristoteles wohl das Unvergängliche höher einschätzt als das Vergängliche. Eine historische Antwort gibt Helmut Kohlenberger, der heute unser Gast ist: dies sei ein Erbe Platons, dessen „Ideen“ als ewig angenommen werden. Die platonischen Ideen habe ich einmal zu veranschaulichen gesucht, indem ich sie als diamantene Skulpturen bezeichnet habe. Ist es erlaubt, jene Ideen, die unsichtbar sein sollen, zu veranschaulichen? Das glaube ich sehr wohl, denn immerhin hat Platon für sie das Wort idea eingesetzt und das heißt „Sicht“, „Gestalt“.
Im Heft 6/2013 der Zeitschrift Sinn und Form hat jetzt Peter Sloterdijk zwei empirische Anlässe für die platonischen „Ideen“ namhaft gemacht: erstens die Statuen, die in Athen und in anderen Städten herumstanden, hauptsächlich Männerstatuen, die, wenn sie Götter oder Helden darstellten, etwas größer waren; und zweitens, die Wörter für die verschiedenen Dinge, die in der griechischen Schrift erstmals vollständig – mit Konsonanten und Vokalen – visualisiert waren; setzen wir dafür unser deutsches Wort „Reh“ ein,  so wird es mit der alphabetischen Schrift schon durch ca. zwei Buchstaben reproduziert und auf Dauer gestellt; eine Dauer, die länger währen kann, als das Leben eines einzelnen Rehs, und vor allem länger als das Auftreten eines Rehs, das doch beinahe mehr flüchtet als verweilt.

Zur vor allem griechischen Wertschätzung des Unvergänglichen erinnere ich an das Kapitel „Vom Barock“ in Jacques Lacans Seminar XX. Encore, wo Lacan zwei Denklinien oder –arten auseinanderhält: den Klassizismus, der auf das Denken und die Seele setzt, und den Barockismus, der das Sprechen und den Körper dagegenhält. Der erste wird durch Judentum und Christentum, Heraklit und Freud repräsentiert, der zweite durch Parmenides, Aristoteles, Hegel und Behaviorimus – hier überwiegen also die Philosophen.

Beide Denkformen konzipieren die Katastrophe unterschiedlich: die eine als Apokalypse, nach der das Leben nicht mehr in gleicher Weise weitergehen kann, die andere als Tragödie, nach der es sehr wohl weitergeht. Helmut Kohlenberger, dessen Buch Prozess, Spiel. Fragmente zum 2. Jahrtausend gestern vorgestellt worden ist, hält die erste Denkweise für die heute angemessene, obwohl sie gleichzeitig „unmöglich“ ist.

Ivo Gurschler bringt den Gegensatz auf die Formel „Jerusalem versus Athen“ und erinnert an den britischen Linguisten John Marco Allegro (1923-1988), der zu den ersten Erforschern der Schriftrollen von Qumran gehörte und daraus eigenwillige Konsequenzen zog, mit denen er sich von der Wissenschaftlergemeinschaft trennte. Nach ihm sei die sumerische Kultur die gemeinsame Basis für die jüdische und die griechische gewesen, wobei der Genuß bestimmter Drogen immer schon die Voraussetzung für ekstatische Erfahrungen und Lehren gewesen sei. Die Person Jesu sei nur eine spätere Erfindung, mit der halluzinogene Pilze bezeichnet-überdeckt worden sein sollen. Anscheinend will Allegro die Denkformen, die Lacan als „barockistische“ bezeichnet, disqualifizieren.

Wir lesen weiter im Aporien-Buch der Metaphysik, wo Aristoteles eben die parmenideische Konstruktion des einen und einzig existierenden Seienden abgewiesen hatte (er ist also kein „radikaler“ Klassizist im Sinne Lacans). Ähnlich verfährt er mit dem einzig existierenden Einen – und schließt daraus, daß die Zahl nicht Wesen sein kann. Am Beginn der europäischen Neuzeit bildete denn auch der Aristotelismus eine Barriere gegen die überhandnehmende Mathematisierung der Naturwissenschaften. Dann aber läßt er sich auf die Elemente der Geometrie ein und fragt nach dem Verhältnis von geometrischer und arithemischer Quantität.

Anschließend geht Aristoteles von den geometrischen – sagen wir – Elementen zu anderen Akzidenzien (pathos, Relation, Qualität, ... ) über, spricht ihnen die Wesenheit ab, die er den Grundkörpern und den zusammengesetzten Körpern zuspricht. In schroffem Gegensatz dazu dann die Erklärung, der Körper sei weniger Wesen als die Fläche, diese weniger als die Linie, diese weniger als der Punkt und das Eine. Denn die Körper können ohne diese abstrakten Größen nicht existieren, wohl aber umgekehrt – woraus sich wieder die platonische Position ergibt. So stehen einander zwei konträre Positionen gegenüber. 

In unserer alltäglichen empirischen Realität gibt es ein Phänomen, in dem Fläche und Körper einander zu ex- und inkludieren scheinen: das Blatt, welches ein „Molekül“ des Buches ist. Andererseits bezeichnet das Wort "Phallus" die radikale Inkonsistenz des Körpers namens „Penis“. Beide paradoxen Phänomene werden in dem Buch Phallus-Collage von Suzy Kirsch (und Walter Pamminger) exhibiert.

Walter Seitter

Donnerstag, 14. November 2013

In der Metaphysik lesen (1001a 19-35)

Wenn das Wesen der Dinge im Einen und im Seienden liegt, so handelt es sich um sehr abstrakte oder formale Wesenheiten, die man eher als Prinzipien bezeichnen und der Logik zuordnen möchte. Näherhin könnte man das eine als „ontologisch“, das andere als „mathematisch“ bezeichnen. Identifiziert man die beiden miteinander unter dem Primat der Mathematik: „Die Ontologie – das ist die Mathematik“, so hat man die pythagoräische Position (in der Moderne bei Badiou, Kittler).

Die Gegenposition findet sich bei denen, die etwas „Bekannteres“ als Ursachen anführen, sei es die Freundschaft, seien es Feuer, Luft und dergleichen. Also Phänomene, die uns aus der natürlichen oder sozialen Umwelt bekannt sind. Daß solche Gegebenheiten Ursachen für andere Gegebenheiten sind, erscheint ganz banal und würde einfach in die Physik oder in die Politik gehören. Nur wenn so eine Ursache als „erste“ irgendwie für „alles“ zuständig sein sollte, wäre das eine Aussage, die in die „gesuchte Wissenschaft“ hineingehören könnte. Immerhin deutet Aristoteles an, daß mit derartigen Ursachen die Pluralisierung schon nahegelegt wird.

Umgekehrt folgt aus solchen Annahmen, daß, wenn das Eine bzw. das Seiende nicht „Wesen“, also Ursachen sind, auch andere Allgemeinheiten als Ursachen nicht in Frage kommen, zumal da sie nicht eine eigene Existenz haben. Das würde dann auch für die Zahl gelten, die ja ihrerseits das Allgemeine des Einen ist.

Nimmt man hingegen an, daß das Eine und das Seiende selber doch eigens existieren, dann sind sie mit den dazugehörigen Wesen identisch und außerdem sind sie miteinander identisch: so gibt es das Eine und nur das Eine und sonst nichts. Diesen radikalen Monismus, der sich aus bestimmten Annahmen streng logisch ergibt, hat Parmenides (520-460) vertreten, Bürgermeister in Elea in Süditalien, welche Stadt allerdings so wie viele andere Erscheinungen, jener Lehre widerspricht, weshalb Parmenides seine Lehre – scheinbar – abgeschwächt hat, indem er neben dem einen Seienden auch viele Scheinende zugelassen hat, die viele, werdende, vergängliche sind oder vielmehr scheinen.

Eleas Erscheinungsgeschichte ist außerordentlich drastisch: in der Antike eine blühende Stadt, die am Meer lag. Auf steilem Felsen über dem Meer ein großer Tempel, an seiner Stelle steht heute noch (aber in einiger Entfernung vom Meer) ein gewaltiger mittelalterlicher Turm. Auf einer Anhöhe in der Stadt wurden erst vor 50 Jahren die am besten erhaltenen Überreste der griechischen Stadt aus dem Erdreich gegraben: eine Straße und ein Tor, über dem ein Aquädukt verläuft.  Was Jahrtausende lang unsichtbar (und vergessen) war, hat überdauert. Das parmenideische „Seiende“: unsichtbar-ewig. 

Walter Seitter

 

Sonntag, 10. November 2013

In der Metaphysik lesen (1001a 1 – 24)



Wer philosophieren will, muss einen bestimmten Sprachstil wählen: soll ich möglichst nahe an der Umgangssprache bleiben, damit auch jede/r mich versteht, oder mich einer möglichst geschliffenen Fachsprache bedienen, um in Kollegenkreisen Anerkennung zu finden? Als Kompromiss kann man sich für die Essayistik entscheiden. Hier wendet man sich an ein größeres Publikum, wobei der Stil irgendwo zwischen locker und elegant sich bewegt. Diesem diametral entgegen steht die Esoterikstiloption, mit der man sich ausdrücklich nur an einige wenige Eingeweihte wenden will, an eine Minderheit mit oft apokalyptischem, avantgardistischem oder revolutionärem Anstrich: indem man sich dem „Gerede des Man“ verweigert, soll dem üblichen Lauf der Dinge Einhalt geboten oder der Mainstream wenigstens in eine etwas andere Richtung gelenkt werden. Das philosophische Denken bzw. Schreiben spielt sich irgendwo zwischen diesen Extremen ab, man muss sich entscheiden, aber nicht endgültig, da die Register immer wieder gewechselt werden können.

Aristoteles Sprachgebrauch wirkt zunächst einfach, umgangssprachlich und das Gesagte leuchtet meist auf den ersten Blick ein. Jedoch hängt das immer auch an der verwendeten Übersetzung und vergleicht man die unterschiedlichen Varianten, wird deutlich wie vielfältig ein und dasselbe ausgesagt werden kann. Ein großzügig gestalteter Assoziationsraum ist vielleicht überhaupt typisch für die Alltags- bzw. Umgangssprache: denn so können leichter gemeinsame Mengen angeschnitten werden und man bekommt den Eindruck sich zu verstehen. Das funktioniert in der Regel auch ganz gut, fragt man aber, wie das etwa Sokrates gerne gemacht hat, etwas näher nach, stößt man schon bald auf Schwierigkeiten – und mit der Zeit vielleicht sogar auf richtiggehende Aporien, in denen man sich gut verlieren kann.

Für seine Vorstellung der Aporie 11 bekräftigt Aristoteles erneut die für die Suche der gesuchten Wissenschaft typische Verklammerung des Schwierigen mit dem Wichtigen; wiedereinmal wird damit indirekt deutlich, dass der Weg des geringsten Widerstandes gerade der ist, den man nicht einschlagen sollte, wenn man hier weiterkommen möchte. Besonders ausgezeichnet eignen sich dafür offenbar Fragen nach dem „Wesen“ oder der „Wesenheit der seienden Dinge“: das Denken über ousia wird auf diese Weise unauffällig als eine Alternative zur Frage nach (ersten) Ursachen oder Prinzipien eingeführt, und als eine der größten Herausforderungen gepriesen. Dazu gehören Fragen wie: ist dieses Wesen zunächst als Eines oder als Seiendes zu bestimmen? Sind die beiden überhaupt voneinander unterscheidbar? Oder bilden sie ununterscheidbar eine Wesenheit? Kann überhaupt etwas ohne Eines zu sein sein? Etc.

Die platonisch-pythagoräische Schule sei, modern ausgedrückt, von der Koinzidenz von Existenz und Identität überzeugt. Für Empedokles und die „Naturphilosophen“ gäbe es dagegen unter dem Einen auch noch eine andere … „Natur“ (physis), da zum Beispiel die Freundschaft als „Ursache“ der Einheit gilt. Aristoteles springt (auch) hier zwischen verschiedenen Such- bzw. Superbegriffen hin und her als ob nichts dabei wäre: Ursache → Wesen → Natur → Ursache. „Das Seiende kann [eben] auf vielfache Weise ausgesagt werden“, wird Aristoteles bald feststellen (vgl. IV 1003b 7). Zu recht kann also eine typisch aristotelische Tendenz zum Polykausalen festgestellt werden, denn die Welt erscheint als eine voll mit vielen verschiedenen Ursachen(typen) und selbst die Natur ist nicht einfach so wie sie ist, sondern kann sich immer auch als anders erweisen. Zumindest bei der Frage nach den Ursachen hält Aristoteles jedoch gleichzeitig daran fest: „Je ferner desto einer.“

Ivo Gurschler

Freitag, 1. November 2013

In der Metaphysik lesen (1000b ff.)

Eingangs machen wir uns erneut klar, daß es uns bei der Übersetzungsarbeit während des Lesens nicht um wortwörtliche Übertragung geht, sondern bei „Ursache/Prinzip“ darum, die Begriffssuche aufzufüllen zur Spektrumserweiterung, etwa mit „Element“, „Bestandteil“, „Material“, „Faktor“ oder „Motiv“. Es geht insbesondere um ein umgangssprachliches Verstehen und Verständlich-machen.
Um dem Anspruch, die Metaphysik als Buch für viele Superlative zu verwenden, zu folgen, wird die Behauptung aufgeworfen, umgangssprachliches Philosophieren sei das seriöseste Philosophieren, denn der Redner wisse, was er sage und werde für die Adressaten verständlich. In einem Exkurs über „Pop-Philosophie“ werden Markus Gabriel, Peter Sloterdijk und Richard David Precht genannt und gewürdigt.
Anhand der Phrase „Liberalismus 'von unten'“ stellen wir die Wichtigkeit der Reihenfolge für die Rhetorik fest. Unsere seriös rhetorische Fragestellung lautet, welche Redensarten gutes Philosophieren ergeben.
Wir lesen 1000b, wo sich Aristoteles gegen Empedokles´ Annahme stellt, daß außer den Elementen Wasser, Feuer, Erde und Luft alles vergänglich sei, denn für Aristoteles ist auch die Formursache unvergänglich: Eichen, die Eichen waren, sind Eichen, die Eichen sein werden. Die Fortpflanzung der Eiche stellt die Eichenheit sicher. Wir stellen die Frage nach der unvergänglichen Eichenheit – Philosophieren heißt jetzt … die richtige Formulierung zu finden. „Eichenheit“ ist ein Begriff – liefert Sprache die Realität neben den Eichen? Dies wäre eine radikal konstruktivistische Annahme: die Eiche gibt es nur deswegen, weil wir das Wort Eiche kennen. Dem entgegengesetzt ist die Notwendigkeit des Wortes „Eiche“, um sie zu benennen und uns über sie verständigen zu können.
Wir fragen nun nach der Attraktion der Unvergänglichkeit, die für Aristoteles eine hochstehende, geschätzte und letztlich erwünschte Qualität zu sein scheint. Wenn alle Formursachen unvergänglich sein sollen, muß die Unvergänglichkeit selbst ein wichtiger Faktor für Aristoteles sein. Auch die Götter sind unsterblich. Unvergänglichkeit besitzt eine Stabilität von Eigenschaften und ein reproduktives Element. Zuguterletzt aber besitzt die Eichenheit als unvergängliche Formursache mehr Seiendheit, wogegen das Vergängliche zum Nicht-seienden gerät.

Gesche Heumann

Samstag, 26. Oktober 2013

In der Metaphysik lesen (1000a 25 und b)


Nach einem kurzen Rekapitulieren des Protokolls von voriger Woche, kommen wir auf die dort ausgeführten Begriffe von Ursachen und Prinzipien. Wir bemerken ihre antiquierte und auch archaisch anmutende Wirkung, stellen aber fest, dass diese Bedeutungen in heutiger Zeit in einer anderen Fassung nach wie vor relevant sind und wirken. Wir spüren dem Wort Ursache nach und stellen folgendes fest: Ursache ist bei Kant: Bedingung der Möglichkeit. Ursache ist bei Foucault: Bedingung der Wirklichkeit. Ursache ist bei Freud: der Trieb.

Eine psychologische Ursache ist das Motiv. Von besonderer Relevanz bei Aristoteles ist „Motiv“, da es mehr als ein bloßes psychologisches Moment, nämlich auch eine Bewegungsursache ist. Bspw. ist das Gute ein solches Motiv, welches alles anzieht, da alle Menschen, für sich, nach ihm streben, und sich auf das Gute hinbewegen wollen. Bspw. ist auch das Beste ein solches Motiv. 982b8 schreibt Aristoteles vom Besten in der ganzen Natur. Allerdings ist uns auch dieser Satz von geringem Nutzen, wenn wir ihn nicht in unsere Sprache übersetzen. Ein anderes Motiv wäre auch: Der Mensch strebt von Natur aus nach Wissen. (Was übrigens nicht bedeutet: der Mensch strebt von Natur aus nach Wissenschaft.) 

Aristoteles richtig lesen, stellen wir fest, bedeutet sein Werk in die heutige Sprache und in die Begriffe der heutigen Wissenschaft zu übersetzen. Und zwar mit dem ganzen Spektrum an möglichen Begriffen vor Augen, um Nachvollziehbarkeit und Gültigkeit zu gewährleisten.

Aristoteles ist auf der Suche nach den fernsten Ursachen, wohingegen sich die Einzelwissenschaften mit den naheliegenden Ursachen auseinandersetzen. Das Fernste ist für Aristoteles vorrangig und primär, während das Naheliegende nachrangig ist. Unter diesem Stern steht die Metaphysik.

Wir kommen zum 3. Buch 1000 a 25 und b: Empedokles nennt den Streit als Ursache des Entstehens und Vergehens. Nur ein Gott der Streit in sich trägt kann Streit erkennen. Ein Gott ohne Streit wäre demnach ein mangelhafter Gott, da sich Gleiches nur durch Gleiches erkennen lasse, und dieser somit nicht erkennen würde. (Im Gegensatz zu heute: Wo erkennen durch Unterschiede erfolgt.)

Empedokles entwirft also ein mögliches defizitäres Gottesbild. 

Hingegen sollen und können wir den Begriff „Gott“ bei Aristoteles durch „göttlich“ ersetzen und in die Zone der ersten Ursachen setzen. Dadurch gelingt ein aus heutiger Sicht völlig ungewöhnlicher Zusammenschluss von Gott und Wissenschaft. Gott und Wissenschaft nämlich schließen sich bei Aristoteles nicht aus. Angeblich, betonte Walter Seitter, hätte Kant Gott und Wissenschaft mit dem unerkennbaren Ding an sich und der unerkennbaren Seele des Menschen getrennt. Aber nur angeblich.

Es wäre jedenfalls eine große INNOVATION könnten wir Wissenschaft mit Gott begreifen; sehen aber, dass wir das Wort und den Begriff Gott, durch andere Wörter und Begriffe ersetzen müssten. Wir müssten das was wir mit Aristoteles machen, mit Gott machen, nämlich diesen in die Gegenwart übersetzen.
                                                                                                                   
Mathias Illigen

 

Samstag, 19. Oktober 2013

In der Metaphysik lesen (Rückblick)


Blicken wir auf die jetzt schon zweieinhalbjährige Lektüre in der Metaphysik zurück, so können wir ungefähr folgende Stränge in diesem Text unterscheiden:

Erstens einige anthropologische bzw. epistemologische Aussagen über die menschliche Erkenntnis, die deren gestuften Aufbau folgendermaßen gliedern: Sinneswahrnehmung, Erinnerung, Vorstellung, Erfahrung, Lernen, handwerkliche Kunst, leitende Kunst, Wissenschaft. Und als Begriff für das hier gültige Maß: Weisheit. Eine Scheide zwischen den niedrigeren und den höheren Erkenntnisformen bilden die beiden Objekte: das „daß“ und das „weshalb“ (die Ursache), eine andere Scheide liegt zwischen „nicht-lehren-können“ und „lehren-können“; eine weitere zwischen zwei weiteren Kunst-Typen: die notwendigen und die „diagogischen“ (selbstzweckhaften).

Der schon genannte Begriff der Weisheit steht für die Erkenntnis der ersten Ursachen und Prinzipien. Umso mehr dürfen wir, nein sollen wir darüber erstaunen, daß den Künsten in dieser Aufstellung soviel Raum gelassen wird. Der griechische Begriff „Kunst“ (techne) hat eine stärkere kognitive Schlagseite als der moderne: seine Affinität zu Ursachen und Prinzipien beruht gerade darauf, daß er mit Hervorbringung zu tun hat, und hervorbringen kann man nur, wenn man weiß, aus was und mit was man etwas macht.

Trotzdem führt Aristoteles hier seine Hierarchisierung ein, wonach die theoretischen Wissenschaften über den poietischen (technischen) stehen: offensichtlich können sie die „ersten“ Ursachen eher erfassen. Die „ersten“ Ursachen und Prinzipien, das sind die entferntesten, im heutigen Sinn die „letzten“, die nicht „auf der Hand liegen“ und daher auch nicht in der Macht der Handwerker, Künstler usw.

Trotzdem ist dieses Naheverhältnis zwischen Weisheit und Kunst wichtig, weil es zeigt, daß die theoretischen Wissenschaften von den anderen (zu denen auch die praktischen gehören) nicht durch einen Abgrund getrennt sind.

„Ursachen“ und „Prinzipien“ – Begriffe, die uns eher fern liegen, weil sie durch die moderne Wissenschaftsentwicklung „überholt“ worden sind. Tatsächlich umfassen sie ein größeres Spektrum von heutigen Begriffen, etwa: Urheber, Erzeuger, Faktor, Element, Bestandteil, Bedingung, Voraussetzung. Ohne diese Begriffe läßt sich bestimmt auch moderne Wissenschaft nicht verstehen und andererseits fallen unter sie auch Sachverhalte, denen wir nicht ohne weiteres wissenschaftstheoretische Relevanz zusprechen würden.

In 982a 4 geht Aristoteles formell dazu über, das Projekt, das er mit diesem Text verfolgt, zu erklären. Es geht einerseits um eine „gesuchte Wissenschaft“, also eine, die es noch nicht, jedenfalls nicht als gut etablierte, gibt (wie etwa die Physik oder die Poetik oder die in 981b 26 erwähnte Ethik), sondern eine die erst definiert und erarbeitet werden muß. Die aber nun doch den altehwürdigen Namen „Weisheit“ zugesprochen bekommt. Diese bereits bekannte Weisheit wird mehrfach definiert: Wissenschaft von den schwierigen Dingen, Wissenschaft von den herrschaftlichen Dingen, Wissenschaft von allen Dingen (in ihrer Allgemeinheit), Wissenschaft vom Wißbarsten (Widerspruch mit der ersten Bestimmung?), Wissenschaft vom Guten und zwar vom Guten an sich, ja vom Besten in der ganzen Natur. Diese letzte Bestimmung scheint die gesuchte Wissenschaft von den theoretischen Wissenschaften etwas abzurücken. Ich würde sagen, sie nähert sie den poietischen oder praktischen an; doch Aristoteles bestätigt ihre Zugehörigkeit zu den theoretischen. Was impliziert, daß bei Aristoteles „Theorie“ nicht total neutral verstanden wird. In diese Richtung ging ja bereits der allererste Satz der Metaphysik: „Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.“

Gegen diese superlativisch definierte Wissenschaft macht sich Aristoteles selber den Einwand, sie übersteige die menschlichen Fähigkeiten, sie sei dermaßen „göttlich“, daß sie von den Göttern vereitelt oder geahndet werden würde. Aristoteles zitiert diese Version der griechischen Volksreligion, kritisiert sie jedoch quasi-platonisch, und hält so seine Behauptung aufrecht, die gesuchte Wissenschaft bzw. die Suche nach ihr eröffne die Möglichkeit einer Annäherung an das Göttliche. Womit er dieser Wissenschaft eine wenn schon nicht religiöse so doch „existenzielle“ Bedeutung zuspricht – zusätzlich mit dem Hinweis auf das Erstaunen als Chance zum Erkennen. Streben und Staunen als nicht rein theoretische Antriebe zum Erkennen. Für das Suchen als methodische Fortsetzung und Ausarbeitung dieser Initialerfahrungen setzt Aristoteles auch ein: aporein, diaporein: den Weg verlieren, fragen, herumsuchen, weitersuchen, sich durcharbeiten.  

Erinnern wir uns daran, wie Aristoteles in seiner Poetik die Götter – die Götter in der Tragödie – ziemlich bedenkenlos eliminiert hat, so fällt auf, daß er sie hier, bei der Definition der gesuchten Wissenschaft und beim Aufrollen ihrer Vorgeschichte, ein bißchen mehr würdigt. Und zwar, weil unter dem weiten Doppelbegriff „Ursachen und Prinzipen“ vielleicht auch das Göttliche oder der Gott oder die Götter subsumiert werden können – oder gar müssen. Als erste oder anders gesagt als fernste Ursachen – nicht unbedingt als ständig sich einmischende Instanzen.

Walter Seitter


Sonntag, 7. Juli 2013

Notizen aus Stuttgart und Marbach


Mittwoch, 3. Juli, Flug nach Stuttgart. Später Vormittag im Grand Café Planie, im Alten Waisenhaus (18. Jahrhundert) an einer breiten Straße, die den stuttgartisch-französischen Namen „Planie“ trägt. Im Inneren eine Kopie des Großstadt-Triptychons von Otto Dix (1928).

Am Abend im Literaturhaus Vorstellung von Francis Ponge Der Tisch (Klagenfurt 2011) unter dem Titel „Francis Ponge und die Dinge“. Lesung aus dem Buch, Diskussion mit Jean-Pierre Dubost und Joachim Kalka. Ponges Dichtung gewinnt ihr Profil daraus, daß er ihr Erkenntnisleistungen abverlangt, die in die Richtung der Naturwissenschaften gehen. Das Ergebnis ist eine Poetische Physik, die Verwandtschaften mit der Philosophischen Physik aufweist. Mit seiner Nähe zur Prosa verzichtet Ponge auf den Gestus des genialen Dichters und bewegt sich ausdrücklich in der Rhetorik als der Lehre vom Sich-Ausdrücken, womit er den jungen Leuten Mut machen will, ihre eigene Rhetorik zu finden, das heißt eine Tätigkeit, die sie vielleicht „retten“ könnte: vor dem Selbstmord, vor der Arbeitslosigkeit (die meines Erachtens geradezu gefördert wird durch das Bemühen der österreichischen Nachrichtensprecher, das Wort „job“ geradezu attraktiv zu machen, indem man es gekonnt (sei es britisch, sei es amerikanisch) auszusprechen. Jungen Leute, denen nichts anderes einfällt, als auf einen „job“ zu warten, zu hoffen, ist wohl kaum mehr zu helfen. Francis Ponge hat diese Probleme bereits im Jahr 1930 artikuliert – eben weil er kein genialer Dichter war (Cézanne war kein genialer Maler)).

Donnerstag, 4. Juli. Fahrt nach Marbach. Kleine malerische Stadt am Steilhang, mit Schillers Geburtshaus. Und darüber die Schillerhöhe: seit dem 19. Jahrhundert Schiller-Nationalmuseum, seit einigen Jahrzehnten Deutsches Literaturarchiv, seit einigen Jahren Deutsches Literaturmuseum. Darin derzeit eine Zettelkasten-Ausstellung, in der einige „Zettelkasten-Imperien“ von Dichtern wie auch von Wissenschaftlern andeutungsweise gezeigt werden. Eine handwerkliche Technik, die aus dem Bibliotheksbetrieb, vielleicht aus dem Büro überhaupt, stammt und seit dem 19. Jahrhundert von Schriftstellern aller Art auf je persönliche Weise und offensichtlich erfolgreich kultiviert wurde.

Tagung „Carl Schmitt und die Literatur seiner Zeit“. Helmut Lethen spricht über „Carl Schmitts Tagebücher als Quelle der Werkdeutung“. Referiert und zitiert aus Tagebüchern der Zehner-, Zwanziger-, Dreißigerjahre, in denen Carl Schmitt tagtäglich, rückhaltlos die Hektik seines Lebens, mehr des „privaten“ als des beruflichen, mit allen Eskapaden, Erschütterungen, sei es erotischer, sei es religiöser Art, in gedrängten Sätzen, Halbsätzen, in Gabelsberger Kurzschrift, festhält. Zu den Fakten gehören auch Stimmungen bzw. Reflexionen darüber, etwa: „Es ist eine objektlose Sehnsucht deren Grund Objektlosigkeit ist.“ Lethen dazu: er habe einen jungen Wiener Lacanianer gefragt, ob das ein Satz sei, der zu Lacan passe. Antwort: ja. Lethen fragt sich, ob es sich bei diesem Carl Schmitt nur um das Syndrom der „Nervosität“ handle, die damals in Mode war. Er meint: nein. Und skizziert andere Erklärungsmodelle. Darunter auch dasjenige, das er meinen Menschenfassungen entnimmt, aus denen er einige Sätze herbeizitiert (173ff.): essenzieller Akzidenzialismus, zu dessen Konstruktion mich seinerzeit auch die Lacan-Lektüre angeregt hat. In der Diskussion weise ich darauf hin, daß ich 1981 diese Schrift Carl Schmitt zugeschickt habe, der mir drei Tage später antwortete, auch mit dem Satz „leider kenne ich Lacan noch nicht ...“;  diesen Satz bezeichne ich als meinen Beitrag zur deutschsprachigen Lacan-Rezeption.

Am Abend sagt mir Martin Mosebach, er habe für das Motto in der Todesanzeige Henning Ritter die Sätze aus dessen Notizheften ausgewählt, in denen dieser vorsichtig aber doch als Gläubiger spricht.

Freitag, 4. Juli. In der Nacht auf der Schillerhöhe in einigen schlaflosen Viertelstunden Gedanken zum Komplex Kosmogonie-Kosmologie-Theologie: diesen Komplex umgreift und gliedert das Gesamtspektrum zwischen extremer Entropie und extremer Neg-Entropie.

Marbach weist noch ein drittes „Zentrum“ auf: unterhalb der Altstadt, außerhalb der Stadtmauer, in einer Talenge, steht eine große spätgotische Kirche; außen ist sie nur groß, innen ein sehr schönes, auch farbiges, Netzgewölbe. Im späten 15. Jahrhundert erbaut hält sie an der frühmittelalterlichen Lage der Stadt fest. Alexanderkirche.


Walter Seitter


Samstag, 29. Juni 2013

In der Metaphysik lesen (1000a 24 – 32)


Auf die letzte Bemerkung zu Aristoteles zurückkommend stellen wir die Frage, wo denn bei ihm die Grenze zwischen Wissenschaft im Sinne von Einzelwissenschaft und Philosophie zu finden sein könnte – und zwar im Sinn der modernen Wortbedeutungen. Es darf vorausgesetzt werden, daß bei Aristoteles – wie bei uns - der Begriff der Wissenschaft eine größere Bedeutung hat als der der Philosophie, jedenfalls im quantitativen Sinn. Alles, was er selber macht, ist Wissenschaft, ist einer bestimmten Wissenschaft zuzuordnen. „Wissenschaft“ ist ein eher technischer Begriff. „Philosophie“ meint wie schon vor Aristoteles eine sehr qualifizierte Seelenhaltung und Seelenleistung, die zu Wissenschaft befähigt. Unter bestimmten Voraussetzungen erhalten bestimmte Wissenschaften den Ehrentitel „Philosophie“. So wird die Physik auch „Zweite Philosophie von den beweglichen Gegenständen“ genannt (Met. VII 1037a 14ff.), Ethik und Politik werden einmal als die „Philosophie der menschlichen Angelegenheiten“ zusammengefaßt (Nik. Eth. X 1181b 15). Beide Male fallen also Wissenschaft und Philosophie zusammen, also würde es sich beide Male um „empirische Philosophie“ handeln.

Nehmen wir als konkretes Beispiel die Poetik und stellen die Frage, ob sich an ihr bzw. in ihr die Unterscheidung von Literaturwissenschaft und Literaturphilosophie doch durchführen ließe. Eine Frage, die jetzt dadurch nahegelegt wird, daß Friedrich Kittlers Philosophien der Literatur erschienen sind (Berlin 2013) und ihr erster Abschnitt der aristotelischen Poetik gewidmet ist. Kittler subsumiert das Buch einfachhin unter Philosophie und indem er das Werk nicht auseinanderdividiert, tut er ihm natürlich nicht Unrecht. Er analysiert hauptsächlich die direkte mediale Umwelt derjenigen Dichtung, die Aristoteles zum Gegenstand macht – also die Sprech- und Musikarten zwischen denen, in denen die Tragödie sich realisiert hat. An mindestens einem Punkt wird aber auffällig, daß Kittler gut daran getan hätte, den aristotelischen Text nach literatur-, besser gesagt nach dichtungswissenschaftlichen Kategorien zu befragen: dann hätte er kaum den aristotelischen Terminus mythos mit den griechischen Mythen verwechselt (die Aristoteles dem Tragödiendichter als Vorlage empfiehlt – aber nicht unter dieser Benennung).

Auf zwei Punkte sei hingewiesen, wo die Poetik deutlich die Ebene von Literaturwissenschaft übersteigt – beide Male, indem sie die Ursachenerkundung darüberhinaustreibt.

Dichtung ist Nachahmung – und was ist die Ursache für diese Tätigkeit? Daß der Mensch „das nachahmendste von allen Tieren“ ist (Poetik 1448b 7): damit erfindet Aristoteles hier eine dritte Definition des Menschen (nach „Tier mit Logos“, „Tier in Polis“). Also ein Beitrag zur Philosophischen Anthropologie. Und zum anderen die Stelle, wonach die Tragödie irgendwann – nach ihren doch eher primitiven Anfängen und einigen Phasen von Verbesserung - ihre „Natur“ erreicht habe (1449a 15). So wird der Tragödie ein Wesen zugeschrieben – auch das eine Ursachensorte bei Aristoteles. Aber anstatt des neutralen Wesensbegriffes ousia (der an anderer Stelle verwendet wird) wird hier gerade dasjenige Synonym (siehe 18. April 2013) eingesetzt, das für das Artefakt Tragödie am wenigsten geeignet erscheint: physis (Natur). Indem Aristoteles so mit seiner ontologischen Terminologie „spielt“, ordnet er seine Dichtungswissenschaft in eine Ontologie ein, die im engeren Sinn „philosophisch“ genannt werden kann.

In unserem Text referiert dann Aristoteles den vorsokratischen Philosophen Empedokles mit folgender Kausalitätsordung:

Gott = Eines = Freundschaft

Streit

Bäume, Tiere, Menschen, Götter

In der ersten Zeile steht die erste (fernste) Ursache, in der zweiten die mittlere, in der dritten stehen die Wirkungen, die ihrerseits auch jeweils die letzten (nächsten) Ursachen (für ihre Nachkommen) sind.

Walter Seitter


 


Montag, 24. Juni 2013

Die Banalität der Weisheit

DER STANDARD brachte gestern ein Interview mit dem Aristoteles-Forscher Hellmut Flashar, das den Titel „Staunen über Aristoteles“ trägt.

Hier einige Anmerkungen, sozusagen ein Zwischenbericht, nach sechseinhalb Jahren Aristoteles-Lektüre, unter dem scheinbar entgegengesetzten Titel „Die Banalität der Weisheit“.

Das Erstaunliche an Aristoteles scheint mir das zu sein, daß er erstaunlich ist, obwohl er von allen berühmten Philosophen so ungefähr der gewöhnlichste, ja banalste ist. Nichts von dem Geheimnisvoll-Dunkeln der Vorsokratiker, nichts von dem gelegentlichen Enthusiasmus Platons, nichts von der Endlos-Dichtung des Lukretius, wenig von den fast ebenso endlosen Verstiegenheiten Kants, nichts von dem verführerischen Schwung der hegelschen Dialektik, nichts von den noch verführerischeren Aphorismen Nietzsches, nichts von den hartnäckig-hinterhältigen Holzwegen Heideggers.

Höchstens von allen diesen Qualitäten ganz selten eine kleine Anwandlung – hineingestreut in eine graue Prosa, die klar sein will, oft auch ist, fast immer die „Sache selbst“ zur Sprache bringen will, manchmal aber doch sich in ihrer Eigenheit reflektiert oder verhaspelt, manchmal mit Lakonie Eleganz erzeugt oder auch Fragen offen läßt. Manchmal sich in Polemiken verstrickt und wiederholt.

Graue, sachliche, fast immer nachvollziehbare (wenn auch nicht immer zustimmungsfähige) Prosa. Philosophie? Hellmuth Flashar macht die wohl doch erstaunliche Aussage, Aristoteles habe alle Wissenschaftsgebiete durch eigene Forschung bereichert – außer Medizin und Botanik. Damit muß er implizieren, er habe auch zur Mathematik beigetragen (was die Forschung tatsächlich schon vor über 100 Jahren aufgewiesen hat) (während ihm heute von einigen sogar der mathematische Sachverstand abgesprochen wird). Allerdings darf man die Frage stellen, ob denn das Philosophie sei: alle Wissenchaften machen.

In dem Buch, das wir jetzt lesen, in der Metaphysik, geht es anscheinend um eine „extra“ gesuchte, um eine zusätzliche Wissenschaft. Für die sucht er auch einen Namen und im ersten Buch nennt er sie – vorläufig – mit dem althergebrachten und altehrwürdigen Namen „Weisheit“. Zur Definierung der Weisheit setzt er als Kriterien die Qualitäten wissend, genau, lehrend, wißbar, ursächlich, allgemein ein: je mehr eine Wissenschaft von diesen Kriterien verwirklicht, je höher das Maß ist, in dem sie das tut, je mehr sie sich dem Superlativischen dieser Qualitäten nähert, umso mehr kann sie auf den Titel „Weisheit“ Anspruch erheben. Für die Superlative selbst setzt er dann die Qualität „göttlich“ ein und die höchste Wissenschaft ist dann die göttliche vom Göttlichen.

Aber sie ist nur die oberste Spitze einer riesigen Pyramide, die viele Grade von Genauigkeit, Lehrendheit, Ursächlichkeit, Allgemeinheit kennt. Die Basis der Pyramide ist die Wissenschaft von allen Dingen – wohlgemerkt in ihrer Allgemeinheit.

Die Wissenschaft von allen Dingen die gab es zu Aristoteles’ Zeiten in zwei Stufen: zuvörderst als Nebeneinander einzelner Forschungen, wobei etwa Mathematik, Medizin und Geschichtsschreibung zu seiner Zeit schon längst entwickelt waren und wobei er als Forscher ebenfalls mannigfaltige Beiträge lieferte. Das ist das Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander der Wissenschaften – bis heute.

Die Wissenschaft von allen Dingen, die gibt es aber auch als Philosophie oder als unterste Stufe der Weisheit. Das heißt es gibt sie doppelt – wenn die Philosophie sich dazu herabläßt, sich auch für die gewöhnlichen Dinge zu interessieren und wenn sie das ohne sachfremden Hochmut tut. Aristoteles bewegt sich in diesem Zwischenraum – den es bis heute gibt, aber nur wenn man ihn erschafft. Im 20. Jahrhundert haben das laut Alain Badiou die sogenannten Epistemologen getan oder zumindest ermöglicht: Jean Cavaillès, Alexandre Koyré, Gaston Bachelard, Georges Canguilhem und schließlich Michel Foucault, der die Wissensgebiete um Wahnsinn, Geld, Linguistik, Botanik und schließlich auch Subjektivität für die Philosophie „annektiert“ habe.[1]

Die Philosophische Linguistik, die Philosophische Botanik, die Philosophische Physik haben nicht etwa den komischen Ehrgeiz, die sogenannten wissenschaftlichen Kollegen arbeitslos zu machen. Es geht nicht um Überwindung oder Ablösung sondern um Parallelaktionen von seiten der Philosophie. Annexionen durch die Philosophie und für die Philosophie zur Anreicherung, zur Begrenzung der wissenschaftlichen Diskurse, die ohne Philosophie auskommen.

Sozusagen aristotelische Aktionen in Nachahmung seiner Enzyklopädik.
  
Walter Seitter


[1] Siehe Alain Badiou: Kleines tragbares Pantheon (Berlin 2011): 16, 86f. 


PS: Im vorigen Protokoll ist aus "und wie ist das Konkrete diese beiden" fälschlicherweise "und wie ist das Konkrete dieser(!) beiden" geworden, was im Weiteren in die Irre geführt haben dürfte ... hier nun die richtige Version: In der Metaphysik lesen (1000a 5 – 1000a 24)

Freitag, 21. Juni 2013

In der Metaphysik lesen (1000a 5 – 1000a 24)


Wir greifen auf den Satz in 999b 24 zurück; auf den Schlußteil des Satzes, der „nur“ ein Fragesatz ist, „und wie ist das Konkrete diese beiden (nämlich die Wesenheit und der Stoff)?“; und interessieren uns nur für die grammatische Form des Satzes: Subjekt im Singular, Prädikatsverb im Singular und Prädikatsnomen im Plural (obwohl nur zwei und nur pronominal ausgedrückt). Im Deutschen müßte das Prädikatsnomen ebenfalls im Singular stehen: Subjekt und Prädikatsverb „regieren“ oder „fixieren“ die Zahl des Prädikatsnomen. Im Griechischen hingegen kann das Verb „sein“ sich so dehnen oder spreizen, daß es den Übergang vom Singular zum Plural vermittelt. Allerdings handelt es sich hier um einen „schwachen“ Plural, einen Neutrum-Plural und der regiert auch als Subjekt die Singularform des Verbs. Die asexuellen Dinge werden nur als „ein Ding“ behandelt: als ein Sachverhalt, als eine Menge von Dingen. Es sieht so aus, als hätten die asexuellen Dinge eine viel schwächere Eigenheit: für die Satzbildung verschmelzen sie immer schon zu einem Gesamten.

Was hier von der griechischen Sprache gesagt wird, geht in dieselbe Richtung, die Aristoteles mit seinen Ausführungen über Zahl und Art der Prinzipien andeutet (9. Aporie): daß das antike Denken – ob nun aristotelisch oder allgemein-sprachlich – in manchen Punkten von dem unsrigen dermaßen abweicht, daß es für uns nur schwer zugänglich ist. Im übrigen handelt es sich hier um die Explikation einer Aporie, nicht um deren Beantwortung.

10. Aporie: haben die vergänglichen und die unvergänglichen Dinge dieselben Prinzipien? Der Schule um Hesiod und den Theologen hält Aristoteles vor, sie hätten nur bedacht, was ihnen selber glaubhaft schien und wenig Rücksicht auf uns genommen. Da zwischen ihnen und „uns“ mindestens zwei oder drei Jahrhunderte liegen, erscheint die aristotelische Rüge doch sehr streng. Sie scheint vorauszusetzen, daß es damals schon möglich gewesen wäre, über die seinerzeitigen Denkgewohnheiten hinauszugehen: also unvergängliche Denkleistungen zustandezubringen – hier darf, nein muß man an die Mathematik denken. Was sie gerade mit ihren Annahmen über die ewigen Götter nicht taten – so Aristoteles. Falls diese in ihrem göttlichen Sein von Nektar und Ambrosia abhängig waren, wären diese beiden Nahrungsmittel „Ursachen“ der Götter gewesen. Da sieht Aristoteles eine Unstimmigkeit: solche Götter können gar nicht ewig sein.

Dem Einwand ließe sich entgegenhalten, daß die Götterspeisen in einem ewigen Kosmos ewig kopräsent bzw. „nachwachsend“ zu denken wären. Und bzw. aber: die Autarkie und die Allmacht, ganz zu schweigen von der Ewigkeit der Götter: das waren schon in jener Volksreligion Huldigungsübertreibungen, die einerseits notwendig waren, um die Götter zu erhalten (die also auch von den Menschen abhängig waren), die andererseits aber nie ganz stimmten.

In einem seiner vielsagendsten Texte, im Kapitel „Vom Barock“ im Seminar XX, macht Lacan den Göttern das Kompliment, sie seien doch „einigermaßen beständige Repräsentationen des Anderen“ gewesen. Also des sogenannten großen Anderen, welches bei Lacan die eher dürftige Repräsentation des Göttlichen ist. Aber mehr und mehr hat Lacan beim großen Anderen Abstriche gemacht: es gebe keine Metaebene und keine Garantie für diesen Anderen – der nichts sei als das Extrem, welches den Menschen aus seiner sogenannten Identität heraustreibe und zum Subjektsein zwinge.


 Walter Seitter