τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Donnerstag, 29. März 2012

In der Metaphysik lesen (991a 24 – 991b 14)


Um die schwache Plausibilität der platonischen Ideenlehre darzutun, formuliert Aristoteles eine Frage, welche deren offensichtliche Voraussetzung resümiert: „Was ist das Werktätige, das zu den Ideen hinschaut?“ Ist das wirklich eine Zusammenfassung der platonischen Position? Immerhin wird da eine Wirkursache angenommen, die keineswegs identisch ist mit der Idee – wo doch der aristotelische Vorwurf Platon unterstellt, er nehme die Idee als einzige und hinreichende Ursache für ein Ding an. Die Formulierung hier erinnert eher an den Handwerker als Wirkursache, der sich während seiner Arbeit von der Idee leiten läßt, zum Beispiel von der Idee des Tisches (wo immer die auch angesetzt wird). Und dann die rein hypothetisch formulierte Behauptung, ein dem Sokrates ähnlicher Mensch könnte entstehen oder existieren, ohne daß der bekannte Sokrates oder gar ein ewiger Sokrates als Vorbild existieren müßte. Die Sokrates-Ähnlichkeit des „zweiten“ Menschen könnte rein „zufällig“ zustandekommen. Da die menschlichen Charaktere aus sehr vielen – aber wohl nicht unendlich vielen – Einzelzügen zusammengesetzt sind, ist die ungefähre „Wiederholung“ des Sokrates-Charakters anderswo und anderswann immerhin möglich. Mit dem „ewigen Sokrates“ ist wohl eine hypothetische Idee des Individuums Sokrates gemeint (die Frage, ob der konkrete Sokrates, obwohl sterblich, selber doch ewig ist (präexistente und unsterbliche Seele), liegt auf einer anderen Ebene).

Für einen Menschen müßte es – laut Aristoteles’ ironisch auf die Spitze getriebenem Platonismus – mehrere Urbilder geben, nämlich das Lebewesen, das Zweifüßige und außerdem den Menschen selbst; für dieses zuletzt genannte Urbild, das es ja laut Platon tatsächlich geben soll, bildet Aristoteles eine Art Neologismus: nämlich „das Selbstmensch“ (991a 29): ein Substantiv mit der maskulinen Endung os, dem jedoch der sächliche Artikel to vorangestellt wird; insofern damit die platonische Idee gemeint ist, hätte der Nicht-Platoniker Aristoteles eine Wortform für die platonischen Idee gefunden, beispielsweise: das Selbsthund, das Selbsteiche, das Selbstlilie .... eine sprachliche Form analog zu meinem ästhetischen Vorschlag, sich die Ideen als diamantene Statuen vom jeweiligen Ding vorzustellen. Aristoteles konstruiert dann noch eine seines Erachtens absurde nämlich reflexive Urbild-Vermehrung (Urbild seiner selber), die sich ergebe, weil Platon keine anderweitigen Wirkursachen annehme. Er nennt dann zwei Dingsorten (Haus, Ring), „für die wir die Existenz von Formen nicht annehmen“. (991b 7) Wer ist dieses Wir? Platon oder Aristoteles? Was Aristoteles betonen will, ist: diese Dinge entstehen aufgrund anderer Ursachen als der Formursache. Aber daß es diese gar nicht gibt, würde Aristoteles wohl doch nicht behaupten: nur als platonische Idee gibt es sie nicht. Aristoteles mischt sich also plötzlich in die Platoniker ein und hier vertritt er sogar eine These, zu der sich sogar der späte Platon verstanden hat (nämlich in bezug auf Artefakte), nachdem ihm „seine“ Ideen selber zuviel geworden sind.

Aristoteles fährt dann fort, indem er – offensichtlich wieder den Platonikern – unterstellt, daß die Formen als Zahlen angenommen werden, und selber die skeptische Frage stellt, wie denn die Zahlen Ursachen sein können. Damit greift er auf die „pythagoräische“ Ebene der platonischen Lehre zurück, die er bereits im 6. Kapitel (987b 14ff.) erklärt und rasch abgewiesen hatte. Allerdings formuliert er diesen platonischen Pythagoräismus jetzt doch anders, nämlich durch die Annahme von Identifizierungen – zwischen dem Menschen und einer bestimmten Zahl, zwischen Kallias und einer bestimmten Zahl, zwischen Kallias und einer bestimmten Zahlenproportion (der vier Elemente ... Hier findet sich wieder eine sprachliche Besonderheit, die Aufmkerksamkeit verdient. Was die Übersetzungen mit „Dinge“, „sinnlich“, „Welt“ wiedergeben, ist im Griechischen nichts anderes als der Pluralneutrum-Artikel mit dem Wort für „hier“ – also einigermaßen direkt übersetzbar mit „die Hiesigen“ (991b 13). Während also Aristoteles für die platonische Idee des Menschen einen interessanten Neologismus[1] erfindet, bezeichnet er die Dinge, die ihn eingestandenermaßen viel mehr interessieren, mit einem solchen fast nichts sagenden Ausdruck. Doch diesen Lakonismus haben wir in der Poetik schon öfter gefunden.

Walter Seitter


[1] Diese Neologismus-Form hat es indessen in der griechischen Sprache schon gegeben. In meinem österreichischen Wörterbuch finde ich ein prominentes allerdings nicht platonisierendes Beispiel, nämlich Autoboreas = leibhaftiger Boreas (Nordwind); das autoanthropos des Aristoteles (das in unserem Text bald noch einmal kommt (991b 19)) wird da nicht verzeichnet.

Mittwoch, 28. März 2012

POST VISUS Klossowski

Wir sprachen heute wie üblich über La Monnaie Vivante – und u. a. auch von der avantgardistischen Funktion von Kosmetik- und Modebranche (zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts). Als ich am Hohen Markt dabei war mein Rad loszumachen, wurde dieses großformatige Plakat frisch in den Werbekasten der Wiener Linien gestrichen. Gelungen finde ich die Abstimmung der Farbe mit dem Produktnamen.

 

IG

Donnerstag, 22. März 2012

In der Metaphysik lesen (990b 30 – 991a 23)


Mit dem Beginn von Kap. 9 hat sich Aristoteles in einen ihm wohlbekannten Raum begeben, den man seit langem als platonische „Ideenlehre“ bezeichnet. Dieser Raum besteht in gewisser Hinsicht nur aus Wörtern, eben den von Platon gebrauchten Wörtern, von denen viele einfach der griechschen Sprache jener Zeit angehören, einige aber als platonische Spezialbegriffe gelten – vor allem idea. Aristoteles beschreibt und beurteilt diesen Raum  wiederum mit Wörtern der allgemeinen griechischen Sprache, aber auch mit einigen seiner Spezialbegriffe wie eidos und ousia, sowie symbebekos und hypokeimenon. Idea und eidos bedeuten – für uns – ungefähr dasselbe, übersetzt aber werden diese Begriffe nicht unbedingt einheitlich, auch die englischen Übersetzungen stimmen miteinander nicht überein (das heißt ja: es gibt Übersetzungen) und so geraten wir hier in ein ziemlich enges wie auch chaotisches Wörtergemenge – eben weil die theoretischen Positionen, die da aufeinanderstoßen, die platonische und die aristotelische, nicht sehr weit voneinander entfernt sind. Wenn Franz Schwarz eidos mit „Form“ wiedergibt, so ist das ja nicht eigentlich falsch, aber die sprachliche Nähe zwischen idea und eidos wird undeutlich. Schließlich können wir nicht umhin, da wir selber ja auch Philosophen sind (wie Aristoteles), Sprachelemente der gegenwärtigen Philosophie, wie „Voluntarismus“ oder „Konstruktivismus“ einzusetzen, um das, was uns da vorliegt, für uns verständlich zu machen.

Und wie soll man so eine Ausdrucksweise beurteilen, die in diesem Text öfter vorkommt, nämlich die Substantivierung des Infinitivs „sein“, der sich auf einen Gegenstand bezieht, also „das Sein von diesem oder jenem“? Keineswegs ein erhabenes und intransitives „Sein“ in der Art von Heidegger (und vielleicht Parmenides). Dieser eher banale Gebrauch von „sein“ scheint zur „Grundsprache“ des Aristoteles zu gehören, analog zum Präsenspartizip „das Seiende“ oder „die Seienden“. Und diese schlichten Wortverwendungen hat er dann gelegentlich gesteigert und terminologisiert zum to ti en einai oder zum on he on.

Wie sich Aristoteles ins platonische Theoriegebäude hineinbegibt, seine Eigenheiten übertreibend, überspitzend, nämlich seine Neigung zur Verdoppelung der Entitäten – aufgrund der Wahrnehmung von Ähnlichkeiten zwischen den Dingen sowie aufgrund der Tatsache, daß wir die Wörter wiederholen ... Einmal erwähnt er sogar den Fall, daß man keine Gemeinsamkeit wahrnimmt und trotzdem ein und dieselbe Bezeichnung vergibt.

Schließlich die Frage, was denn die eide – gemeint sind die platonischen Ideen – beitragen zu den ewigen wie zu den vergänglichen Sinnesdingen (991a 9). Aus diesem Satz können wir schließen, daß das, was Aristoteles wirklich „interessiert“, die Existenz von Dingen ist – da aber gibt es sowohl die ewigen wie die dem Entstehen und Vergehen unterworfenen. Die ewigen – das sind wohl die Himmelskörper (einschließlich der Erde) – insofern ist die Scheidung zwischen der supralunarischen und der sublunarischen Sphäre keine totale.

Die Leistungsbilanz fällt sehr schlecht aus für Ideen: sie verursachen nicht deren Bewegungen und sonstige Veränderungen; sie verhelfen nicht zu ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis, da sie weder deren Wesen noch deren Existenzursache sind (weil sie nicht in ihnen sind); sie sind nicht einmal in dem Sinne ihre Ursache, wie das Weiße, das sich mit einem Ding vermengt, Ursache für dessen Weißsein ist. Schließlich wird die Grundbehauptung des Platonismus, die eide seien die Urbilder oder Vorbilder der anderen Dinge, als leeres Gerede und „poetische Metaphern sagen“ bezeichnet: Poesie am unrechten Ort oder oder Pseudo-Poesie?

Walter Seitter

Freitag, 16. März 2012

In der Metaphysik lesen (990b 9 – 990b 29)


Unsere Lektüre des Buches I der Metaphysik geht zwar langsam vor sich: sie kann aber keineswegs dem Text in allen Dimensionen gerecht werden. Vor allem können wir nicht vollständig klarstellen, inwieweit Aristoteles’ Referieren und Kritisieren der „voraristotelischen“ Theoretiker dem heutigen Wissen von diesen Theoretikern entspricht. Das gilt insbesondere für diejenigen Autoren, die uns bis heute nicht wirklich vollständig und schlüssig überliefert, bekannt und verständlich sind – etwa für die Pythagoräer.

Immerhin möchten wir uns zwei Aspekte klarmachen. Erstens die bloße Tatsache, daß Aristoteles seine Suche nach seiner „gesuchten Wissenschaft“ mit relativ ausführlichen, auch immer wieder abgebrochenen und dann wieder neu ansetzenden theoriegeschichtlichen Referaten einleitet. Wieso braucht diese Wissenschafts-Suche so eine „historische“ Einleitung? Wird hier eine völlig „neue“ Wissenschaft gesucht? Dafür spricht einiges, einiges aber auch dagegen. Wir haben ja schon gesehen, daß Aristoteles die gesuchte Wissenschaft von den rein „naturkundlich“ arbeitenden Vorgängern, aber auch von seiner eigenen Vorlesung „Über die Natur“ absetzt – obwohl er auch Bezüge darauf einräumt. Und außerdem wollen wir schauen, ob Aristoteles im Zuge dieser kritischen Berichte auch eigene theoretische Positionen offenlegt: solche, die mit seiner „bekannten“ Lehre übereinstimmen, vielleicht aber auch andere.

Den Anfang des 9. Kapitels haben wir schon gelesen, in dem Aristoteles die Platoniker kritisiert – obwohl er im weiteren Sinn wohl selber einer ist. In der Folge kritisiert er die Art und Weise, in der sie die Existenz von Formen, genauer gesagt von „Ansichten“ oder „Arten“ beweisen. Gibt es Formen von Negationen, von vergänglichen oder schon vergangenen Dingen: von allen Dingen, von denen es Wissenschaften, Begriffe, Vorstellungen gibt? Also auch von der Bezüglichkeit und somit von den Akzidenzien – und nicht nur von den Substanzen? Eine solche Position läuft einerseits darauf hinaus, möglichst viele „Ideen zu schaffen“ – und andererseits die Dinge oder Entitäten, deren „Sein wir mehr wollen“ geradezu „abzuschaffen“. Aristoteles versteigt sich hier zu einer voluntaristischen und konstruktivistischen Sprache über Theorien, wobei er für sich selber einen Voluntarismus in Anspruch nimmt – einen „Willen zum Sein“ von bestimmten Dingen, den Gegnern jedoch, nämlich den übermäßig platonisierenden Theoretikern, eine „Produktion“ unterstellt, welche die „Destruktion“ der von ihm bevorzugten Dinge zur Folge hat.

Wenn es sich hier tatsächlich um einen Ausdruck der aristotelischen Position handelt, dann ist sie vor allem aufgrund ihrer Formulierung interessant, die die eigene theoretische Position als Willenshaltung oder Willensentscheidung darstellt und die entgegengesetzte als wirkungsmächtiges Handeln: Theorie als Entscheidung, Theorie als Macht über die Gegenstände. Inhaltlich aber stellt sich Aristoteles auf die Seite des Realismus, auf die Seite der hiesigen Dinge, während er der Gegenseite ein haltloses Erfinden und Vermehren, ein endloses Hervorbringen und Vermehren von sogenannten Ideen unterstellt, womit die real existierenden Dinge zurückgedrängt, vielleicht sogar verdrängt und vernichtet werden.

Im folgenden Absatz wird die Annahme, daß es nicht nur von Wesen, also Substanzen, sondern auch von allen anderen – Aristoteles setzt da wieder einmal kein Substantiv ein, sondern einfach den neutralen Plural der anderen und der noch andereren, logischerweise müssen das die Akzidenzien oder vielleicht noch weniger seiende x oder y sein, z. B. die Vergangenheiten oder andere Verneinungen (das Akzidens und die Tausende werden ausdrücklich genannt), daß es also von allem Möglichen bis hin zum Unmöglichen auch Ideen gibt, ausdrücklich wiederholt und verworfen. Zuletzt unterstreicht Aristoteles den Grundsatz, daß es notwendigerweise nur von Substanzen Ideen geben könne. Der dem indirekt entgegengesetzte Satz, daß es nicht nur von Substanzen sondern auch von Akzidenzien Wissenschaften geben könne, wird den Platonikern zugeschrieben und somit abgelehnt. Diese Ablehnung ist ein offizieller Lehrsatz des Aristoteles. Es ist aber nicht sicher, daß er sich tatsächlich konsequent an ihn gehalten hat. 

Walter Seitter

Donnerstag, 1. März 2012

In der Metaphysik lesen (990a 33 - 990b 8)


Bereits zu Beginn des 6. Kapitels (687a 29ff.) war Aristoteles auf die Lehre Platons eingegangen, auch damals im Anschluß an eine Auseinandersetzung mit den Pythagoräern. Jetzt geht er sehr ausführlich auf die Platoniker ein – im Plural, doch ohne diese Namensnennung; er nennt sie diejenigen, „die die Ideen als Ursachen aufstellten“ und rückt diese These sofort in ein merkwürdiges Licht, indem er ihre Erfinder mit solchen vergleicht, die Dinge nur zählen können, wenn sie diese Dinge vermehren – also sechs statt drei zum Beispiel. Und zur Begründung: die Formen – im  Text die eide – sind so etwas Ähnliches wie die Dinge, also eine Art Verdoppelung; und zur erkenntnismäßigen Begründung: zu jedem Ding gibt es – mindestens – ein Gleichnamiges; und zwar „auch über die Wesen (ousiai) hinaus“ – ein Zusatz den ich ehrlich gesagt nicht verstehe, wiewohl dieser Begriff die eben gebrauchten sozusagen konsequent fortsetzt: idea – eidos – ousia bilden eine Begriffskette, die den Weg Sokrates-Platon-Aristoteles nachzeichnet.

Der Hinweis auf die gleichnamigen Dinge bringt die Allgemeinbegriffe ins Spiel, die ja nicht nur in der Philosophie, sondern in der Umgangssprache unvermeidlich sind. Es geht einfach nicht, daß man für jeden Apfel einen eigenen Begriff prägt – das wäre ein Individual- oder Singulärbegriff (Unterbegriffe zu „Apfel“ gibt es jedoch sehr wohl, z. B. die Sortenbezeichnungen oder Zubereitungsarten wie „Bratapfel“). Allenfalls könnte man jedem Apfel zusätzlich zum Begriff „Apfel“ auch noch einen Namen geben. So etwas habe ich in meiner Kindheit bei den benachbarten Bauern erlebt, die jeder Kuh einen Namen gaben, z. B. Frieda, Lisi usw. Was jedoch den Begriff „Kuh“ nicht überflüssig machte. Den einzelnen Äpfeln oder Zwetschken gaben sie jedoch keine Namen. Insofern ist die Übersetzung „gleichnamig“ für homonymon nicht wirklich exakt. Ein Tisch hat ein „Homonym“ bedeutet: es gibt außer ihm noch etwas, das man auch „Tisch“ nennt. „Homonym“ heißt also hier: mit demselben Begriff, der ein „Allgemeinbegriff“ ist, bezeichnet. Man kann das auch so ausdrücken: kein Tisch ist der einzige Tisch, jeder hat einen beziehungsweise viele „Kollegen“. Für die Philosophen heißt das: kein Philosoph ist der einzige. Ein Satz, der für das Selbstverständnis der Philosophen nicht so banal ist, wie es scheinen könnte. In diesem Fall ist mit dem Allgemeinbegriff eine Moral verbunden, die sich nicht so leicht abweisen läßt, wie die mögliche Kritik der Allgemeinbegriffe - als Vergewaltigung der Singularitäten – glauben machen will.

Was diese Kritik betrifft, so ist die richtige Konsequenz aus ihr nicht die Abschaffung der Allgemeinbegriffe, sondern ihr richtiger Gebrauch. Und der lautet: kein Allgemeinbegriff ist eine hinreichende Bezeichnung für ein einzelnes Ding. Jeder Allgemeinbegriff ruft nach weiteren begrifflichen Bestimmungen, zum Beispiel weniger allgmeinen Begriffen, die ihn einengen und präzisieren. Zuletzt können auch lokale und temporale Bestimmungen dazutreten, die die Sache als individuelles Ereignis eingrenzen. Außerdem kann man den Sachen Namen geben – aber nicht allen. Übrigens steht es mit den Namen genauso wie mit den Begriffen: es gibt ihrer nicht so viele wie Individuen. Ich bin nicht der einzige, der „Walter“ heißt; ich bin auch nicht der einzige, der „Seitter“ heißt. Es muß weniger Wörter als Dinge geben. Genau so viele Wörter wie Dinge: das wäre eine Analogie zu einer Landkarte, die genau so groß ist wie das Land.

In der Lingustik gibt es das Substantiv „Homonym“ und das bedeutet wieder etwas anderes als „homonym“ bei Aristoteles. Nämlich: ein Wort, welches für einen übermäßigen und ungenauen Allgemeinbegriff steht; also ein Wort, das nicht nur gleichartige Dinge bezeichnet, sondern sogar sehr ungleichartige. Beispiel „Hahn“: bezeichnet einerseits das männliche Huhn, andererseits eine Rohröffnung, aus der Wasser fließen kann. Wären alle Begriffe so mehrdeutig, wäre das Sprechen bzw. Verstehen noch schwieriger und die Kritik an allzuvielen derartigen mehrdeutigen Wörtern wäre berechtigter als die Kritik an den ordentlichen Allgemeinbegriffen.

Walter Seitter